Abrechnung mittels Holzlatten
Wie haben die Käsereien in den frühen Jahren der Kooperativen eigentlich die von den Milchbauern angelieferte Milch bemessen und die Bauern entsprechend entlohnt? Es gab damals weder Taschenrechner noch Computer. Doch die Menschen waren immer schon erfinderisch. In diesem Fall dienten zwei Holzlatten als im wörtlichen Sinne Maß-Stäbe.
Man mag es heute kaum glauben: Doch die Welt des Handels funktionierte auch schon vor der Erfindung des Computers und der Einführung von Warenwirtschaftssystemen. Ein wunderbares Beispiel für präzise und faire Bemessung und entsprechende Entlohnung der Lieferanten ist das überlieferte System der „Taille“ aus der Franche-Comté. Mit diesem etwas ungewöhnlichen Maß-Stab, bestehend aus zwei ineinander greifenden Holzstöcken, wurden seit Ende des 18. Jahrhunderts die Lieferungen der Milchbauern bemessen und abgerechnet. Diese Bemessungsgrundlage wurde erforderlich, als die Bauern eines Dorfes mehr und mehr ihre Milcherträge zusammenlegten, um daraus schöne große und lagerfähige Käseräder herzustellen.
Wie sah dieses Maß, diese „Taille“, nun tatsächlich aus? Es waren einfach zwei Holzstäbe, die so geschnitzt waren, dass sie perfekt ineinander passen. Auf ihnen konnte der Käser, der die Milch der Bauern in seiner Käserei zur Weiterverarbeitung entgegennahm, Markierungen anbringen, die später zu Abrechnung verwendet wurden. So wurde, während die beiden Stäbe dicht nebeneinander gehalten wurden, ein X darüber gezeichnet. Dieses X war dann zur Hälfte auf dem einen und zur Hälfte auf dem anderen Stock zu sehen. Jedes X stellte 10 Liter dar. Am unteren Ende der Stäbe gab es zudem Balkenmarkierungen, die jeweils 1 Liter bemaßen. Der große Stab wurde stets vom Gläubiger aufbewahrt, der je nach Situation der Käser oder der Milchbauer sein konnte. Der kleinere Stab verblieb beim Schuldner.
Milch bringen, Käse zurückbekommen
Doch damit nicht genug. Am Ende des Tages, wenn die Kühe zwei Mal gemolken waren, schaute der Käser nach, welcher der Milchbauern an diesem Tag die größte Forderung hatte. Sagen wir, es war Pierre. Dann ist an diesem Tage Pierre an der Reihe, den Käse des Tages zu erhalten. Milchbauern und Käserei addieren also alle Milchlieferungen des Tages und subtrahieren von dieser Summe die von Pierre gelieferte Milch. Das Ergebnis dieser Subtraktion ist Pierres Schuld gegenüber der Gesellschaft, die er an jedem zukünftigen Tag durch die Lieferung von Milch an die Gemeinschaft zurückzahlen wird.
Pierre zahlt also nach und nach seine Schulden zurück, indem die von ihm gelieferte Milch jeweils erneut in eine Forderung umgewandelt wird. Sobald Pierre´s Forderung wieder die stärkste von allen ist, ist er wieder “an der Reihe”, den Käse zu erhalten. Daher kommt auch der Name „Käserei-Runde“. Diese “hölzerne” Buchhaltung hat zweifellos zum Erfolg des Konzepts der „Fruitières“, der Käsereien der Franche-Comté, und zum Fortschritt der Landwirtschaft beigetragen. Charles Lullin, der als einer der ersten die Methode in einem 1811 erschienenen Werk genau beschrieb, versicherte damals: “In vielen Ländern kennen die meisten Milchbauern ihre Zahlen nicht. Diese Unkenntnis macht sie unruhig und misstrauisch gegenüber der Kontoführung durch die Käserei.
Um diesen Nachteil zu beheben, hat man sich eine Art der Aufzeichnung der Milchlieferungen ausgedacht, die keinerlei Kenntnis von Zahlen voraussetzt.“ Keine Zahlen, aber ein schöner Einfallsreichtum, der es ermöglichte, den Einsatz von Geld zu vermeiden. Alles in allem war dies eine Entmaterialisierung des Geldes und der Rechnungen vor der Zeit.